Haken-Mannigfaltigkeit

In der Mathematik sind Haken-Mannigfaltigkeiten 3-dimensionale Mannigfaltigkeiten, die sich entlang inkompressibler Flächen in einfache Stücke zerschneiden lassen und deswegen einer algorithmischen Behandlung zugänglich sind. Sie sind benannt nach Wolfgang Haken.

Definition

Eine Haken-Mannigfaltigkeit ist eine kompakte 3-Mannigfaltigkeit, die P 2 {\displaystyle P^{2}} -irreduzibel ist und eine (eigentlich eingebettete und zweiseitige) inkompressible Fläche enthält.

Erläuterungen:

  • Eine 3-Mannigfaltigkeit ist irreduzibel, wenn jede eingebettete 2-Sphäre eine eingebettete 3-Kugel berandet. Sie ist P 2 {\displaystyle P^{2}} -irreduzibel, wenn sie irreduzibel ist und keine zweiseitig eingebettete projektive Ebene enthält. Wenn M {\displaystyle M} orientierbar ist, dann folgt P 2 {\displaystyle P^{2}} -Irreduzibilität bereits aus Irreduzibilität.
  • Falls M {\displaystyle M} nichtleeren Rand hat, soll die inkompressible Fläche auch rand-inkompressibel sein.

Beispiele

  • Die 3-dimensionale Vollkugel B 3 {\displaystyle B^{3}} ist eine Haken-Mannigfaltigkeit.
  • Jede irreduzible 3-Mannigfaltigkeit M {\displaystyle M} mit positiver 1. Betti-Zahl
b 1 ( M ) > 0 {\displaystyle b_{1}(M)>0}
ist eine Haken-Mannigfaltigkeit: wegen Poincaré-Dualität folgt H 2 ( M , Z ) 0 {\displaystyle H_{2}(M,\mathbb {Z} )\not =0} und man kann zeigen, dass sich eine nichttriviale Homologieklasse durch eine inkompressible Fläche repräsentieren lässt. Insbesondere ist jede irreduzible 3-Mannigfaltigkeit mit Rand eine Haken-Mannigfaltigkeit, zum Beispiel jedes Knotenkomplement.
  • Fast alle Dehn-Chirurgien am Achterknoten ergeben Mannigfaltigkeiten, die nicht Haken sind. Andererseits erhält man mit dieser Konstruktion einige Beispiele von Haken-Mannigfaltigkeiten mit b 1 ( M ) = 0 {\displaystyle b_{1}(M)=0} .[1]
  • Die von Ian Agol bewiesene Virtuell Haken-Vermutung besagt, dass jede irreduzible 3-Mannigfaltigkeit von einer Haken-Mannigfaltigkeit endlich überlagert wird.

Hierarchien

Für eine Haken-Mannigfaltigkeit M {\displaystyle M} mit inkompressibler Fläche F M {\displaystyle F\subset M} gibt es eine Folge

( M 0 , F 0 ) , ( M 1 , F 1 ) , , ( M k , F k ) , ( M k + 1 , F k + 1 ) {\displaystyle (M_{0},F_{0}),(M_{1},F_{1}),\ldots ,(M_{k},F_{k}),(M_{k+1},F_{k+1})} ,

so dass ( M , F ) = ( M 0 , F 0 ) {\displaystyle (M,F)=(M_{0},F_{0})} , ( M i + 1 , F i + 1 ) {\displaystyle (M_{i+1},F_{i+1})} aus ( M i , F i ) {\displaystyle (M_{i},F_{i})} durch Aufschneiden entlang F i {\displaystyle F_{i}} entsteht und M k + 1 {\displaystyle M_{k+1}} eine Vereinigung disjunkter 3-dimensionaler Vollkugeln ist.

Diese Eigenschaft ermöglicht es, Beweise für Haken-Mannigfaltigkeiten als Induktionsbeweise über die Länge einer Haken-Hierarchie zu führen, wobei der Induktionsanfang jeweils im Überprüfen der Behauptung für 3-dimensionale Vollkugeln besteht. Auf diese Weise wurden Waldhausens Starrheitssatz für Haken-Mannigfaltigkeiten und Thurstons Geometrisierungsvermutung für Haken-Mannigfaltigkeiten bewiesen.

Waldhausens Starrheitssatz

Satz (Waldhausen): Sei M {\displaystyle M} eine geschlossene Haken-Mannigfaltigkeit. Dann ist jede Homotopieäquivalenz homotop zu einem Homöomorphismus. Für Haken-Mannigfaltigkeiten mit Rand gilt das entsprechend, wenn man voraussetzt, dass die Homotopieäquivalenz auf dem Rand M {\displaystyle \partial M} bereits ein Homöomorphismus ist.

Algorithmische Aspekte

Es gibt einen Algorithmus, der entscheidet, ob zwei Haken-Mannigfaltigkeiten homöomorph sind. Dieser unter dem Namen „Recognition Theorem“ bekannte Algorithmus ist theoretischer Natur. Insbesondere hat man eine algorithmische Klassifikation von Haken-Mannigfaltigkeiten und damit (wegen des Satzes von Gordon-Luecke) auch eine algorithmische Klassifikation von Knoten und Verschlingungen. (Der Satz von Gordon-Luecke gilt nicht für Verschlingungen mit mehreren Komponenten, jedoch werden diese durch das Komplement und ihre Meridiane eindeutig bestimmt.)[2]

Weiterhin gibt es einen auch auf dem Computer umgesetzten Algorithmus, um zu entscheiden, ob eine irreduzible 3-Mannigfaltigkeit Haken ist.

Höherdimensionale Haken-Mannigfaltigkeit

Ein Randmuster (engl.: boundary pattern) ist eine endliche Menge kompakter zusammenhängender ( n 1 ) {\displaystyle (n-1)} -dimensionaler Untermannigfaltigkeiten des Randes M {\displaystyle \partial M} („Facetten“), so dass für 1 k n + 1 {\displaystyle 1\leq k\leq n+1} der Durchschnitt von je k {\displaystyle k} dieser Untermannigfaltigkeiten eine ( n k ) {\displaystyle (n-k)} -dimensionale Untermannigfaltigkeit oder leer ist. Das Randmuster heißt vollständig, wenn die Vereinigung dieser Untermannigfaltigkeiten ganz M {\displaystyle \partial M} ist, und nützlich, wenn

  • jede in M {\displaystyle M} null-homotope Abbildung von S 1 {\displaystyle S^{1}} in eine Facette bereits in der Facette null-homotop ist
  • jede aus zwei jeweils in eine Facette abgebildeten Intervallen bestehende null-homotope Abbildung von S 1 {\displaystyle S^{1}} in M {\displaystyle \partial M} eine Abbildung von D 2 {\displaystyle D^{2}} in M {\displaystyle \partial M} berandet, welche den Durchschnitt der beiden Facetten in einem einzigen Intervall schneidet
  • jede aus drei jeweils in eine Facette abgebildeten Intervallen bestehende null-homotope Abbildung von S 1 {\displaystyle S^{1}} in M {\displaystyle \partial M} eine Abbildung von D 2 {\displaystyle D^{2}} in M {\displaystyle \partial M} berandet, welche den Rand der drei Facetten in einer einzigen Tripode schneidet

n {\displaystyle n} -dimensionale Haken-Zellen sind gewisse n {\displaystyle n} -Mannigfaltigkeiten mit Randmuster, die rekursiv wie folgt definiert werden. Eine 2 {\displaystyle 2} -dimensionale Haken-Zelle ist ein k {\displaystyle k} -Eck ( k 4 {\displaystyle k\geq 4} ) mit den k {\displaystyle k} Kanten als Randmuster. Eine n {\displaystyle n} -dimensionale Haken-Zelle ist eine Mannigfaltigkeit mit vollständigem und nützlichem Randmuster, dessen Elemente ( n 1 ) {\displaystyle (n-1)} -dimensionale Haken-Zellen sind.

Eine n {\displaystyle n} -dimensionale Mannigfaltigkeit M {\displaystyle M} ist eine Haken-Mannigfaltigkeit, wenn es eine Folge

( M 0 , F 0 ) , ( M 1 , F 1 ) , , ( M k , F k ) , ( M k + 1 , F k + 1 ) {\displaystyle (M_{0},F_{0}),(M_{1},F_{1}),\ldots ,(M_{k},F_{k}),(M_{k+1},F_{k+1})}

von Mannigfaltigkeiten M i {\displaystyle M_{i}} mit vollständigen und nützlichen Randmustern sowie ( n 1 ) {\displaystyle (n-1)} -dimensionalen Untermannigfaltigkeiten F i M i {\displaystyle F_{i}\subset M_{i}} gibt, so dass M i + 1 {\displaystyle M_{i+1}} aus M i {\displaystyle M_{i}} durch Aufschneiden entlang F i {\displaystyle F_{i}} entsteht und das Randmuster von M i + 1 {\displaystyle M_{i+1}} von dem von M i {\displaystyle M_{i}} erzeugt wird, und so dass M 0 = M {\displaystyle M_{0}=M} und M k + 1 {\displaystyle M_{k+1}} eine disjunkte Vereinigung n {\displaystyle n} -dimensionaler Haken-Zellen ist.

Beispiele

  • Flächen nichtpositiver Euler-Charakteristik mit den Randkomponenten als Randmuster.
  • Eine 3 {\displaystyle 3} -dimensionale Haken-Mannigfaltigkeit mit inkompressiblem Rand und dessen Komponenten als Randmuster, ist eine Haken-Mannigfaltigkeit im Sinne dieser Definition.[3]
  • Eine 4 {\displaystyle 4} -Mannigfaltigkeit der Form N × [ 0 , 1 ] {\displaystyle N\times \left[0,1\right]} , wobei N {\displaystyle N} eine 3 {\displaystyle 3} -dimensionale geschlossene Haken-Mannigfaltigkeit ist, mit den Randkomponenten als Randmuster.
  • Eine 4 {\displaystyle 4} -Mannigfaltigkeit der Form S × [ 0 , 1 ] 2 {\displaystyle S\times \left[0,1\right]^{2}} , wobei S {\displaystyle S} eine Fläche nichtpositiver Euler-Charakteristik ist, mit einem Randmuster bestehend aus vier Kopien von S × [ 0 , 1 ] {\displaystyle S\times \left[0,1\right]} .

Eigenschaften

  • n {\displaystyle n} -dimensionale Haken-Mannigfaltigkeiten sind asphärisch, ihre universelle Überlagerung ist homöomorph zum R n {\displaystyle \mathbb {R} ^{n}} .
  • Das Wortproblem für die Fundamentalgruppen von Haken-Mannigfaltigkeiten ist lösbar.

Literatur

  • W. Haken: Theorie der Normalflächen I. In: Acta Math. 105, 1961, S. 245–375.
  • F. Waldhausen: On irreducible 3-manifolds which are sufficiently large. In: Ann. of Math. 87, 1968, S. 56–88.
  • W. Jaco: Lectures on three-manifold topology. CBMS Regional Conference Series in Mathematics, 43. American Mathematical Society, Providence, R.I., 1980. ISBN 0-8218-1693-4
  • B. Foozwell, H. Rubinstein: Introduction to the theory of Haken n-manifolds. In: Topology and geometry in dimension three. (= Contemp. Math. 560). Amer. Math. Soc., Providence, RI, 2011, ISBN 978-0-8218-5295-8, S. 71–84.
  • William Jaco: Haken manifold (Encyclopedia of Mathematics)
  • Johannson's characteristic submanifold theory, Chapter 2 in: Canary, McCullough, Homotopy equivalences of 3-manifolds and deformation theory of Kleinian groups

Einzelnachweise

  1. William Thurston: Geometry and topology of three-manifolds. Chapter 4: Hyperbolic Dehn surgery (pdf)
  2. Sergei Matveev: Algorithmic topology and classification of 3-manifolds. (= Algorithms and Computation in Mathematics. 9). 2. Auflage. Springer, Berlin 2007, ISBN 978-3-540-45898-2, Kapitel 6.
  3. Klaus Johannson: Homotopy equivalences of 3-manifolds with boundaries. (= Lecture Notes in Mathematics. 761). Springer, Berlin 1979, ISBN 3-540-09714-7.