Lieder im Dorf

Graf Leo Tolstoi

Lieder im Dorf (russisch Песни на деревне, Pesni na derewne) ist eine Kurzgeschichte von Lew Tolstoi, die am 8. November 1909 in Jasnaja Poljana vollendet[1] und 1910 im Jubileiny sbornik Literaturnowo fonda[2] abgedruckt wurde. 1983 erschien der Text im Bd. 14 Powesti und Erzählungen der 22-bändigen Tolstoi-Ausgabe im Verlag für Künstlerische Literatur in Moskau.

Inhalt

Im Dorf spielt sich an einem „unvergesslichen nebligen Morgen“ unter den Augen des Erzählers ein „grausiger“ Vorgang ab. Der Erzähler gibt sich zwar nicht als der Gutsherr dieses russischen Dorfes zu erkennen, doch beim Leser bleibt nach der Lektüre der Eindruck, dass es sich um diesen handeln muss. Das folgt allein schon aus den beinahe familiären knappen Dialogen, die er gelegentlich mit diesem oder jenem Dorfbewohner in der Menschenmenge führt.

Der Erzähler folgt im Dorf den Harmonikaklängen, durchmischt mit mehrstimmigem Gesang. Es stellt sich heraus, das Dorf verabschiedet vier ledige Burschen und einen verheirateten jungen Mann. Die fünf müssen zum Wehrdienst einrücken. Den Vater des Verheirateten, den Bauern Wassili Orechow, hatte der Erzähler früher einmal unterrichtet.[A 1] Die Schwiegertochter Orechows, nun für lange Zeit ohne Ehemann, steigt missmutig vom Ofen herunter, als der Erzähler zusammen mit den künftigen Soldaten die Wohnstube Orechows betritt. Die zur Verabschiedung unter fröhlichem Sang und Klang durch das Dorf ziehenden fünf jungen Männer müssen hie und da haltmachen und bekommen einen Schnaps angeboten. Keiner der fünf ist ein Trinker. Nach vorsichtiger Kostprobe lehnen die Einberufenen solches Getränk ab. Die Fröhlichkeit der Singenden und Spielenden wirkt aufgesetzt und wird immer einmal von herzzerreißendem Wehgeschrei betroffener weiblicher erwachsener Angehöriger der fünf unterbrochen. Der Erzähler schämt sich. Wie konnte er neugierig den Liedern im Dorf folgen?

Verwendete Ausgabe

  • Lieder im Dorf. Aus dem Russischen übersetzt von Hermann Asemissen. S. 413–418 in: Eberhard Dieckmann (Hrsg.): Lew Tolstoi. Hadschi Murat. Späte Erzählungen. Bd. 13 von Eberhard Dieckmann (Hrsg.), Gerhard Dudek (Hrsg.): Lew Tolstoi. Gesammelte Werke in zwanzig Bänden. Rütten und Loening, Berlin 1986
  • Der Text
    • Wikisource Песни на деревне (Толстой) (russisch)
    • online bei tolstoy-lit.ru (russisch)
    • online bei RVB.ru (russisch)
  • Eintrag in der Werkeliste Späte Erzählungen (1888–1910)
  • Eintrag bei fantlab.ru (russisch)
  • Marietta Boiko: Kommentar zum Text (russisch)

Siehe auch

Die Rekrutierungspraktiken hatte der Verfasser bereits ein knappes halbes Jahrhundert zuvor in der Erzählung Polikei angeprangert.

Anmerkung

  1. Auf seiner Besitzung hatte Tolstoi in jüngeren Jahren eine Dorfschule nach dem Vorbild Rousseaus betrieben.

Einzelnachweise

  1. Verwendete Ausgabe, S. 418
  2. russ. Юбилейный сборник Литературного фонда, Jubiläumsband des Literaturfonds
Werke von Lew Tolstoi

Romane: Krieg und Frieden | Krieg und Frieden (Urfassung) | Anna Karenina | Auferstehung

Novellen: Die Kosaken | Wieviel Erde braucht der Mensch? | Der Tod des Iwan Iljitsch | Die Kreutzersonate | Der Teufel | Der gefälschte Coupon | Hadschi Murat | Familienglück

Autobiografie: Kindheit | Knabenjahre | Jünglingsjahre

Philosophische Schriften: Kritik der dogmatischen Religion | Meine Beichte | Worin mein Glaube besteht | Das Himmelreich in euch | Was ist Kunst? | Gegen die moderne Kunst | Über Erziehung und Bildung | Wovon die Menschen leben

Dramen: Die Macht der Finsternis | Der lebende Leichnam | Und das Licht scheinet in der Finsternis (unvollendet)

Erzählungen und Kurzgeschichten: Der Überfall | Der Holzschlag | Sewastopol-Zyklus | Der Schneesturm | Der Morgen eines Gutsbesitzers | Zwei Husaren | Der Degradierte | Luzern | Albert | Drei Tode | Polikuschka | Eine Idylle | Der Gefangene im Kaukasus | Jermak und die Eroberung Sibiriens | Gott sieht die Wahrheit, sagt sie aber nicht sogleich | Die Bärenjagd | Meine Hunde | Der Leinwandmesser | Die beiden Alten | Wo die Liebe ist, da ist auch Gott | Kinderweisheit und Männertorheit | Lass den Funken nicht zur Flamme werden | Die Kerze | Die drei Greise | Der reuige Sünder | Iwan der Narr | Das eigroße Korn | Der erste Branntweinbrenner | Iljas | Der Feind ist zähe, aber Gott ist stark | Die beiden Brüder und das Gold | Der Knecht Jemeljan und die leere Trommel | Der Taufsohn | Volkserzählungen | Russische Bauern | Das Leben | Grausame Vergnügungen | Der Traum des jungen Zaren | Herr und Knecht | Vater Sergej | Krieg und Revolution | Für alle Tage | Das große Verbrechen | Nach dem Ball | König Assarhaddon | Aljoscha der Topf | Die postumen Aufzeichnungen des Starez Fjodor Kusmitsch | Das Göttliche und das Menschliche | Kornej Wasiljew | Drei Fragen | Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen | Macht des Kindes | Der Fremde und der Bauer | Lieder im Dorf | Wer sind die Mörder? | Der Mönchspriester Iliodor | Dankbarer Boden | Allen das Gleiche | Chodynka | Drei Tage auf dem Lande | Wofür? | Was ich im Traume sah | Vater Wassili