Riesz-Raum

Ein Riesz-Raum ist ein Vektorraum mit einer Verbandsstruktur, die so beschaffen ist, dass sich die lineare und die Verbandsstruktur vertragen. Im Jahr 1928 wurde dieser Raum von Frigyes Riesz definiert[1] und trägt deshalb heute seinen Namen.

Definition

Sei ( X , + , ) {\displaystyle (X,+,\cdot )} ein R {\displaystyle \mathbb {R} } -Vektorraum und ( X , ) {\displaystyle (X,\leq )} eine halbgeordnete Menge.

Dann heißt ( X , + , , ) {\displaystyle (X,+,\cdot ,\leq )} ein Riesz-Raum wenn folgende Axiome erfüllt sind:

  1. Für alle f , g , h X {\displaystyle f,g,h\in X} gilt: f g f + h g + h {\displaystyle f\leq g\Rightarrow f+h\leq g+h} .
  2. Für alle f , g X {\displaystyle f,g\in X} gilt: 0 a R {\displaystyle 0\leq a\in \mathbb {R} } und f g a f a g {\displaystyle f\leq g\Rightarrow a\cdot f\leq a\cdot g} .
  3. ( X , ) {\displaystyle (X,\leq )} ist ein Verband.

Weiter notiert man x y = sup ( x , y ) {\displaystyle x\vee y=\sup(x,y)} und x y = inf ( x , y ) {\displaystyle x\wedge y=\inf(x,y)} .

Weitere Begriffe

  • Für eine Menge A X {\displaystyle A\subset X} ist sup ( A ) = x A x = sup { x : x A } {\displaystyle \sup(A)=\bigvee _{x\in A}x=\sup\{x\colon x\in A\}} und inf ( A ) = x A x = inf { x : x A } {\displaystyle \inf(A)=\bigwedge _{x\in A}x=\inf\{x\colon x\in A\}} .
  • Für ein Element x X {\displaystyle x\in X} definiert man den positiven und negative Teil x + := x 0 {\displaystyle x^{+}:=x\vee 0} und x := ( x ) + = x 0 {\displaystyle x^{-}:=(-x)^{+}=-x\vee 0} .
  • Der Modulus von x {\displaystyle x} ist definiert als | x | := x ( x ) {\displaystyle |x|:=x\vee (-x)} .
  • Zwei Elemente x , y X {\displaystyle x,y\in X} sind disjunkt x y {\displaystyle x\perp y} wenn für ihre Moduli | x | | y | = 0 {\displaystyle |x|\wedge |y|=0} gilt.
  • Sei M X {\displaystyle M\subset X} eine beliebige Menge und M {\displaystyle M\neq \emptyset } , dann definieren wir M = { x X : ( y M ) x y } {\displaystyle M^{\perp }=\{x\in X\colon (\forall y\in M)\;x\perp y\}} , das heißt die Menge der zu M {\displaystyle M} disjunkten Elemente.
  • Eine Teilmenge M X {\displaystyle M\subset X} ist vollständig wenn M x {\displaystyle M\perp x} impliziert das x = 0 {\displaystyle x=0} , das heißt es gilt M = 0 {\displaystyle M^{\perp }=0} .
  • Eine Teilmenge M X {\displaystyle M\subset X} ist solide oder normal, falls für jedes x E {\displaystyle x\in E} und ein beliebiges y M {\displaystyle y\in M} mit | x | | y | {\displaystyle |x|\leq |y|} auch x M {\displaystyle x\in M} gilt.
  • Die Menge M ⊥⊥ {\displaystyle M^{\perp \perp }} nennt man das von M {\displaystyle M} generierte Band. Für eine einelementige Menge { x } {\displaystyle \{x\}} nennt man { x } ⊥⊥ {\displaystyle \{x\}^{\perp \perp }} das Prinzipalband.[2]

Anmerkungen

  • 1. und 2. bedeuten ( X , + , , ) {\displaystyle (X,+,\cdot ,\leq )} ist ein geordneter Vektorraum.
  • Bei der Formulierung von 2. ist zu beachten, dass {\displaystyle \leq } sich sowohl auf R {\displaystyle \mathbb {R} } , als auch auf X {\displaystyle X} bezieht, aus dem Zusammenhang ist meistens klar, welche Ordnungsrelation gemeint ist, so dass üblicherweise auf zusätzliche Indizes verzichtet wird.
  • 2. lässt sich auch durch die schwächere Forderung 0 a {\displaystyle 0\leq a} und 0 f 0 a f {\displaystyle \mathbf {0} \leq f\Rightarrow \mathbf {0} \leq a\cdot f} ersetzen.
  • Bezeichnen , {\displaystyle \land ,\lor } die Verbandsoperationen, so ist es Konvention, dass , {\displaystyle \land ,\lor } stärker binden, als + , {\displaystyle +,\cdot } (Klammerregel).

Erste Eigenschaften

Für f , g , h X {\displaystyle f,g,h\in X} und 0 a R {\displaystyle 0\leq a\in \mathbb {R} } gelten folgende Rechenregeln:

  • ( f + h ) ( g + h ) = ( f g ) + h {\displaystyle (f+h)\lor (g+h)=(f\lor g)+h} und ( f + h ) ( g + h ) = ( f g ) + h {\displaystyle (f+h)\land (g+h)=(f\land g)+h}
  • ( a f ) ( a g ) = a ( f g ) {\displaystyle (af)\lor (ag)=a(f\lor g)} und ( a f ) ( a g ) = a ( f g ) {\displaystyle (af)\land (ag)=a(f\land g)}
  • ( f ) ( g ) = ( f g ) {\displaystyle (-f)\lor (-g)=-(f\land g)} und ( f ) ( g ) = ( f g ) {\displaystyle (-f)\land (-g)=-(f\lor g)}
  • Sei | f | := f ( f ) {\displaystyle |f|:=f\lor (-f)} für f X {\displaystyle f\in X} .
Dann gilt f g = 1 2 ( f + g + | f g | ) {\displaystyle f\lor g={\tfrac {1}{2}}(f+g+|f-g|)} und f g = 1 2 ( f + g | f g | ) {\displaystyle f\land g={\tfrac {1}{2}}(f+g-|f-g|)} .
  • ( f g ) + ( f g ) = f + g {\displaystyle (f\lor g)+(f\land g)=f+g} und ( f g ) ( f g ) = | f g | {\displaystyle (f\lor g)-(f\land g)=|f-g|}
  • ( f g ) h = ( f h ) ( g h ) {\displaystyle (f\lor g)\land h=(f\land h)\lor (g\land h)} und ( f g ) h = ( f h ) ( g h ) {\displaystyle (f\land g)\lor h=(f\lor h)\land (g\lor h)}
Dies bedeutet jeder Riesz-Raum ist ein distributiver Verband.

Beispiele

  • Die reellen Zahlen R {\displaystyle \mathbb {R} } mit der üblichen Anordnung {\displaystyle \leq } bilden einen Riesz-Raum.
  • Der R n {\displaystyle \mathbb {R} ^{n}} mit komponentenweiser Anordnung bildet einen Riesz-Raum.
  • Die Menge der reellen Zahlenfolgen R N {\displaystyle \mathbb {R} ^{\mathbb {N} }} mit komponentenweiser Anordnung bildet einen Riesz-Raum.
  • Die Menge der reellen Nullfolgen c 0 {\displaystyle c_{0}} mit komponentenweiser Anordnung bildet einen Riesz-Raum.
  • Für 1 p {\displaystyle 1\leq p\leq \infty } ist l p {\displaystyle l_{p}} mit komponentenweiser Anordnung ein Riesz-Raum.
  • Die Menge der beschränkten reellen Folgen l {\displaystyle l_{\infty }} mit komponentenweiser Anordnung bildet einen Riesz-Raum.
  • Die Menge der stetigen Funktionen C [ a , b ] {\displaystyle {\mathcal {C}}[a,b]} auf einem Intervall [ a , b ] {\displaystyle [a,b]} bildet mit punktweiser Anordnung einen Riesz-Raum.
  • Die Menge der stetig differenzierbaren Funktionen C 1 [ a , b ] {\displaystyle {\mathcal {C}}^{1}[a,b]} auf einem Intervall [ a , b ] {\displaystyle [a,b]} bildet einen geordneten Vektorraum mit der punktweisen Anordnung, aber keinen Riesz-Raum.

Integrationstheorie

Riesz-Räume bieten Voraussetzungen für eine abstrakte Maß- und Integrationstheorie. Die zentrale Aussage in diesem Zusammenhang ist der Spektralsatz von Freudenthal. Dieser Satz garantiert für Riesz-Räume auf abstrakte Weise die Approximationseigenschaft von Funktionen durch Treppenfunktionen. Der Satz von Radon-Nikodým und die Poissonsche Summenformel für beschränkte harmonische Funktionen auf der offenen Kreisscheibe sind Spezialfälle des Spektralsatzes von Freudenthal. Dieser Spektralsatz war einer der Ausgangspunkte für die Theorie der Riesz-Räume.

Einzelnachweise

  1. Riesz, Frigyes: Sur la décomposition des opérations fonctionelles linéaires, Atti congress. internaz. mathematici (Bologna, 1928), 3, Zanichelli (1930) pp. 143–148
  2. Martin R. Weber: Finite Elements in Vector Lattices. Hrsg.: De Gruyter, Deutschland. 2014, S. 8. 

Literatur

  • Luxemburg, W.A.J. & Zaanen, A.C.: "Riesz spaces", North-Holland, 1971, ISBN 978-0444866264
  • V. I. Sobolev: Riesz space. In: Michiel Hazewinkel (Hrsg.): Encyclopedia of Mathematics. Springer-Verlag und EMS Press, Berlin 2002, ISBN 1-55608-010-7 (englisch, encyclopediaofmath.org).