Satz von Lindemann-Weierstraß

Der Satz von Lindemann-Weierstraß ist ein zahlentheoretisches Resultat über die Nichtexistenz von Nullstellen bei gewissen Exponentialpolynomen, woraus dann beispielsweise die Transzendenz der eulerschen Zahl e {\displaystyle e} und der Kreiszahl π {\displaystyle \pi } folgt. Er ist benannt nach den beiden Mathematikern Carl Louis Ferdinand von Lindemann und Karl Weierstraß.

Aussage

Es sei eine (endliche) Menge algebraischer Zahlen gegeben, so sind die Bilder dieser Zahlen unter der Exponentialfunktion linear unabhängig über dem Körper der algebraischen Zahlen.
Das heißt für alle algebraischen Zahlen α j , β j {\displaystyle \alpha _{j},\beta _{j}} mit β i β j i j {\displaystyle \beta _{i}\neq \beta _{j}\forall i\neq j} und i , j , n N {\displaystyle i,j,n\in \mathbb {N} } , gilt:

j = 0 n α j e β j 0 {\displaystyle \sum _{j=0}^{n}\alpha _{j}e^{\beta _{j}}\neq 0}

Diesen sehr allgemeinen Satz bewies 1882 (teilweise) von Lindemann, ausgehend von der Hermiteschen Matrix, um einerseits die Transzendenz der eulerschen Zahl e {\displaystyle e} und der Kreiszahl π {\displaystyle \pi } zu zeigen. Obwohl er Erweiterungen andeutete, blieben diese unveröffentlicht, so dass diese dann Weierstraß 1885 vollendete. Beide Arbeiten zusammen bilden den Beweis, so dass der Satz den Namen „Satz von Lindemann-Weierstraß“ erhielt.

1893 legte David Hilbert allerdings einen deutlich vereinfachten Beweis durch Widerspruch für die Spezialfälle der Transzendenz der Zahlen e {\displaystyle e} und π {\displaystyle \pi } vor, aus dem sich wiederum auch der allgemeine Satz folgern lässt.[1]

In den 1960er Jahren wurde von Stephen Schanuel eine Verallgemeinerung dieses Satzes als Vermutung formuliert, siehe Vermutung von Schanuel.

Folgerungen

Diese Ergebnisse folgen direkt aus dem obigen Satz.

Transzendenz von e

Wäre e {\displaystyle e} eine algebraische Zahl, so wäre e {\displaystyle e} Nullstelle eines normierten Polynoms mit rationalen Koeffizienten. Es gäbe also rationale Zahlen β 0 , , β n 1 {\displaystyle \beta _{0},\dots ,\beta _{n-1}} , so dass

e n + β n 1 e n 1 + β 1 e 1 + β 0 e 0 = 0 {\displaystyle e^{n}+\beta _{n-1}e^{n-1}\cdots +\beta _{1}e^{1}+\beta _{0}e^{0}=0} .

Damit wären die ersten n + 1 {\displaystyle n+1} Potenzen von e linear abhängig über Q {\displaystyle \mathbb {Q} } (und damit auch über Q ¯ {\displaystyle {\overline {\mathbb {Q} }}} ) im Widerspruch zum Satz von Lindemann-Weierstraß.

Transzendenz von π

Um die Transzendenz der Kreiszahl π {\displaystyle \pi } zu zeigen, nehmen wir zunächst an, dass π {\displaystyle \pi } eine algebraische Zahl ist. Da die Menge der algebraischen Zahlen einen Körper bildet, müsste auch π i {\displaystyle \pi i} algebraisch sein ( i {\displaystyle i} bezeichnet hier die imaginäre Einheit). Nun ist aber

e π i + e 0 = 1 + 1 = 0 {\displaystyle e^{\pi i}+e^{0}=-1+1=0}

im Widerspruch zu linearen Unabhängigkeit von e π i {\displaystyle e^{\pi i}} und e 0 {\displaystyle e^{0}} .

Dies zeigt, dass unsere Annahme falsch war, die Kreiszahl π {\displaystyle \pi } muss also transzendent sein.

Transzendenz der natürlichen Exponential- und Logarithmusfunktion

e α {\displaystyle {\rm {e^{\alpha }}}} ist für jede algebraische Zahl α 0 {\displaystyle {\alpha }\neq 0} transzendent. Wenn dies nicht wäre, dann müsste eine algebraische Zahl β {\displaystyle \beta } existieren mit:

e α = β {\displaystyle e^{\alpha }=\beta }

Da die Menge der algebraischen Zahlen einen Körper bildet, ist für jedes algebraische β {\displaystyle \beta } auch β {\displaystyle -\beta } algebraisch. Nun ist aber:

e α = β e α β = 0 1 e α + ( β ) e 0 = 0 {\displaystyle e^{\alpha }=\beta \Leftrightarrow e^{\alpha }-\beta =0\Leftrightarrow 1\cdot e^{\alpha }+(-\beta )\cdot e^{0}=0}

im Widerspruch zu linearen Unabhängigkeit von e α {\displaystyle e^{\alpha }} und e 0 {\displaystyle e^{0}} .

Aus e α = β ln ( β ) = α {\displaystyle e^{\alpha }=\beta \Leftrightarrow \ln(\beta )=\alpha } folgt unmittelbar: ln ( β ) {\displaystyle \ln({\beta })} ist für jede algebraische Zahl β 1 {\displaystyle {\beta }\neq 1} , insbesondere jede positive rationale Zahl β 1 {\displaystyle {\beta }\neq 1} , transzendent.

Weil die Menge der algebraischen Zahlen einen Körper bildet, ist für jede algebraische Zahl α {\displaystyle {\alpha }} auch α i {\displaystyle {\alpha i}} algebraisch und somit gilt auch:

e α i {\displaystyle e^{\alpha i}} ist für jede algebraische Zahl α 0 {\displaystyle {\alpha }\neq 0} transzendent.

Transzendenz der Hyperbelfunktionen

sinh ( α ) {\displaystyle \sinh(\alpha )} , cosh ( α ) {\displaystyle \cosh(\alpha )} , tanh ( α ) {\displaystyle \tanh(\alpha )} und coth ( α ) {\displaystyle \coth(\alpha )} sind für jede algebraische Zahl α 0 {\displaystyle {\alpha }\neq 0} transzendent.

Es gilt:

sinh ( x ) = e x e x 2 = 1 2 e x 1 2 e x {\displaystyle \sinh(x)={\frac {e^{x}-e^{-x}}{2}}={\frac {1}{2}}\cdot e^{x}-{\frac {1}{2}}\cdot e^{-x}}
cosh ( x ) = e x + e x 2 = 1 2 e x + 1 2 e x {\displaystyle \cosh(x)={\frac {e^{x}+e^{-x}}{2}}={\frac {1}{2}}\cdot e^{x}+{\frac {1}{2}}\cdot e^{-x}}
tanh ( x ) = sinh ( x ) cosh ( x ) = e x e x e x + e x = e 2 x 1 e 2 x + 1 {\displaystyle \tanh(x)={\frac {\sinh(x)}{\cosh(x)}}={\frac {e^{x}-e^{-x}}{e^{x}+e^{-x}}}={\frac {e^{2x}-1}{e^{2x}+1}}}
coth ( x ) = cosh ( x ) sinh ( x ) = e x + e x e x e x = e 2 x + 1 e 2 x 1 {\displaystyle \coth(x)={\frac {\cosh(x)}{\sinh(x)}}={\frac {e^{x}+e^{-x}}{e^{x}-e^{-x}}}={\frac {e^{2x}+1}{e^{2x}-1}}}

Für sinh ( x ) {\displaystyle \sinh(x)} und cosh ( x ) {\displaystyle \cosh(x)} ist der Beweis derselbe wie für e x {\displaystyle e^{x}} . Angenommen sinh ( α ) = e α e α 2 {\displaystyle \sinh(\alpha )={\frac {e^{\alpha }-e^{-\alpha }}{2}}} oder cosh ( α ) = e α + e α 2 {\displaystyle \cosh(\alpha )={\frac {e^{\alpha }+e^{-\alpha }}{2}}} wären für α 0 {\displaystyle {\alpha }\neq 0} algebraisch, dann müsste eine algebraische Zahl β {\displaystyle \beta } existieren mit:

e α ± e α 2 = β {\displaystyle {\frac {e^{\alpha }\pm e^{-\alpha }}{2}}=\beta }

Da die Menge der algebraischen Zahlen einen Körper bildet, sind für jedes algebraische β {\displaystyle \beta } auch β {\displaystyle -\beta } und ± 2 β {\displaystyle \pm 2\beta } algebraisch. Nun ist aber:

e α ± e α 2 = β e α ± e α = 2 β e α ± e α 2 β = 0 1 e α + ( ± 1 ) e α + ( 2 β ) e 0 = 0 {\displaystyle {\frac {e^{\alpha }\pm e^{-\alpha }}{2}}=\beta \Leftrightarrow e^{\alpha }\pm e^{-\alpha }=2\beta \Leftrightarrow e^{\alpha }\pm e^{-\alpha }-2\beta =0\Leftrightarrow 1\cdot e^{\alpha }+(\pm 1)\cdot e^{-\alpha }+(-2\beta )\cdot e^{0}=0}

im Widerspruch zu linearen Unabhängigkeit von e α {\displaystyle e^{\alpha }} , e α {\displaystyle e^{-\alpha }} und e 0 {\displaystyle e^{0}} .

Für tanh ( x ) {\displaystyle \tanh(x)} und coth ( x ) {\displaystyle \coth(x)} werden folgende Identitäten verwendet:

cosh x = 1 1 tanh 2 ( x ) {\displaystyle \cosh {x}={\frac {1}{\sqrt {1-\tanh ^{2}(x)}}}}
coth ( x ) = 1 tanh ( x ) {\displaystyle \coth(x)={\frac {1}{\tanh(x)}}}

Angenommen, tanh ( α ) {\displaystyle \tanh(\alpha )} wäre für eine algebraische Zahl α 0 {\displaystyle {\alpha }\neq 0} algebraisch und die algebraische Zahl β {\displaystyle \beta } . Die algebraischen Zahlen bilden einen Körper, in dem zusätzlich auch uneingeschränkt radiziert werden kann, d. h. jede Wurzel einer algebraischen Zahl ist selbst algebraisch. Das führt aber bei Verwendung der ersten Identität zu folgendem:

tanh α = β cosh ( α ) = 1 1 tanh 2 ( α ) = 1 1 β 2 {\displaystyle \tanh {\alpha }=\beta \Rightarrow \cosh(\alpha )={\frac {1}{\sqrt {1-\tanh ^{2}({\alpha })}}}={\frac {1}{\sqrt {1-\beta ^{2}}}}}

Aufgrund der Körperaxiome der algebraischen Zahlen ist für jede algebraische Zahl β {\displaystyle \beta } der Bruch 1 1 β 2 {\displaystyle {\frac {1}{\sqrt {1-\beta ^{2}}}}} . Also folgt aus der Annahme, tanh α {\displaystyle \tanh {\alpha }} für eine algebraische Zahl α 0 {\displaystyle {\alpha }\neq 0} ist algebraisch, die Aussage cosh α {\displaystyle \cosh {\alpha }} für eine algebraische Zahl α 0 {\displaystyle {\alpha }\neq 0} ist algebraisch. Da letzteres bereits falsifiziert ist, gilt: tanh ( α ) {\displaystyle \tanh(\alpha )} ist für jede algebraische Zahl α 0 {\displaystyle {\alpha }\neq 0} transzendent.
Weil coth ( α ) = 1 tanh ( α ) {\displaystyle \coth(\alpha )={\frac {1}{\tanh(\alpha )}}} gilt, folgt hieraus: coth ( α ) {\displaystyle \coth(\alpha )} ist für jede algebraische Zahl α 0 {\displaystyle {\alpha }\neq 0} transzendent.

Transzendenz der trigonometrischen Funktionen

sin ( α ) {\displaystyle \sin(\alpha )} , cos ( α ) {\displaystyle \cos(\alpha )} , tan ( α ) {\displaystyle \tan(\alpha )} und cot ( α ) {\displaystyle \cot(\alpha )} sind für jede algebraische Zahl α 0 {\displaystyle {\alpha }\neq 0} transzendent.

Es gilt:

sin ( x ) = e x i e x i 2 i = 1 2 i e x i 1 2 i e x i {\displaystyle \sin(x)={\frac {e^{xi}-e^{-xi}}{2i}}={\frac {1}{2i}}\cdot e^{xi}-{\frac {1}{2i}}\cdot e^{-xi}}
cos ( x ) = e x i + e x i 2 = 1 2 e x i + 1 2 e x i = ± 1 1 + tan 2 ( x ) {\displaystyle \cos(x)={\frac {e^{xi}+e^{-xi}}{2}}={\frac {1}{2}}\cdot e^{xi}+{\frac {1}{2}}\cdot e^{-xi}=\pm {\frac {1}{\sqrt {1+\tan ^{2}(x)}}}}
tan ( x ) = sin ( x ) cos ( x ) = e x i e x i ( e x i + e x i ) i = e 2 x i 1 ( e 2 x i + 1 ) i {\displaystyle \tan(x)={\frac {\sin(x)}{\cos(x)}}={\frac {e^{xi}-e^{-xi}}{(e^{xi}+e^{-xi})\cdot i}}={\frac {e^{2xi}-1}{(e^{2xi}+1)\cdot i}}}
cot ( x ) = cos ( x ) sin ( x ) = ( e x i + e x i ) i e x i e x i = ( e 2 x i + 1 ) i e 2 x i 1 = 1 tan ( x ) {\displaystyle \cot(x)={\frac {\cos(x)}{\sin(x)}}={\frac {(e^{xi}+e^{-xi})\cdot i}{e^{xi}-e^{-xi}}}={\frac {(e^{2xi}+1)\cdot i}{e^{2xi}-1}}={\frac {1}{\tan(x)}}}

Man verwende, dass für jede algebraische Zahl α {\displaystyle \alpha } auch α {\displaystyle -\alpha } und ± α i {\displaystyle \pm \alpha i} algebraisch sind, ebenso dass für jede algebraische Zahl β {\displaystyle \beta } auch β {\displaystyle -\beta } und ± β i {\displaystyle \pm \beta i} algebraisch sind. Der rechnerische Beweis zur Transzendenz der trigonometrischen Funktionen erfolgt dann analog zum Beweis der Transzendenz der Hyperbelfunktionen.

Literatur

  • Charles Hermite: Sur la fonction exponentielle. In: Comptes Rendus Acad. Sci. Paris 77, (1873), S. 18–24.
  • Charles Hermite: Sur la fonction exponentielle. Gauthier-Villars, Paris (1874).
  • Ferdinand Lindemann: Über die Ludolph'sche Zahl. In: Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 2 (1882), S. 679–682.
  • Ferdinand Lindemann: Über die Zahl π {\displaystyle \pi } . In: Mathematische Annalen 20 (1882), S. 213–225.
  • Karl Weierstraß: Zu Lindemann's Abhandlung. „Über die Ludolph'sche Zahl“. In: Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissen-schaften zu Berlin 5 (1885), S. 1067–1085.
  • David Hilbert: Ueber die Transcendenz der Zahlen e und π {\displaystyle \pi } . In: Mathematische Annalen 43 (1893), S. 216–219.

Einzelnachweise

  1. David Hilbert: Ueber die Transcendenz der Zahlen e {\displaystyle e} und π {\displaystyle \pi } , Digitalisat, auch Wikibooks